Aufweichung der Fronten

Früher war alles viel einfacher, so ähnlich stöhnten bereits die alten Griechen in der Antike und ereiferten sich über die unmögliche Jugend. Ein ähnliches Stöhnen ist durch die Zeiten immer wieder zu hören, in allen Lebensbereichen. In der Buchbranche hört man es heuer besonders gern. Früher war alles viel einfacher: Da ging Autor Otto Neuling noch mit dem handgetippten Manuskriptberg zum Verleger, um sich vorzustellen und einen der begehrten Plätze an dessen Kaffeetisch zu bekommen. Heute trinken nur noch die wenigsten Verleger mit Bewerbern Kaffee, aber elektronisch lief bisher das gleiche Spiel ab: Otto Neuling wird entweder zum Verlagsautor oder er wird Wirt. Ohne Verlag kein Autor, denn Vanity Press adelte nicht, sondern machte Karrieren kaputt.

Und jetzt wird die Sache richtig kompliziert. Otto Neuling kann nämlich dank der neuen Techniken und Zugänge sein Buch selbst herausgeben. Das konnte er früher auch, nur haben ihm nicht so viele Leute die altmodischen Hektografien und Fanzines aus dem Copyshop abkaufen können. Nun ist auch das professionalisiert. Schlimmer noch - Otto Neuling ist nicht mehr auf nur noch einen Kanal angewiesen. Er kann sein zweites Buch an einen Verlag geben, kann sein gedrucktes Buch vom Verlag machen lassen und die E-Book-Rechte selbst nutzen, kann selbst einen Verlag gründen oder mit Verlegern als Partner zusammenarbeiten. Die Fronten verschwimmen zusehends. Hat man bisher den Autoren angelastet, nicht brav im Schema bleiben zu wollen, so wechseln plötzlich auch Verlage die Seiten.

Die FAZ, die ich wegen ihrer Leistungsschutzhaberei nicht mehr zitiere oder empfehle, schaut mit bildungsbürgerlichem Erschrecken darauf, dass Penguin Books jetzt mit der aufgekauften Author Solutions Inc. kooperieren will. Penguin ist einer der mächtigsten Verlage der englischsprachigen Welt. Author Solutions Inc. ist eine Vanity Press Firma - in unserer Welt nennen wir das DKZV. Längst investieren hierzulande Holtzbrinck / Droemer & Knaur nicht mehr nur vornehmlich in die internen Lektorate und Verlagsabläufe, sondern in eigene Self-Publishing- und Dienstleistungsplattformen. Bei der Menge der abgelehnten Manuskripte lauert da draußen ein immenser Markt, der sich wie eh und je von Hoffnungen nährt.

Ich persönlich bin mittlerweile so frech, auch "ordentliche" Verlage auf mein neues Self-Publishing-Projekt hin anzusprechen, ob man vielleicht als Partner zusammen kommen könnte. Also nicht als Autor und Verlag, sondern von Macher zu Macher. Einen Verlagsvertrag würde ich dafür nicht bekommen, aber wenn ich das Wort "Sponsoren" fallenlasse, erfahre ich mit Schrecken, wie sich so mancher seit Jahren die Kassen nebenher aufbessert. Regionalia, Facharbeiten, Schriften für Vereine und Firmen - das alles wurde schon immer in diesem Verfahren hergestellt. In ganz ordentlichen etablierten Verlagen. "Es erscheint ja nicht in unserem Verlagsprogramm" und "wir lektorieren und drucken doch sowieso" heißt es da zur Erklärung des seltsamen Hybridstatus, den bereits viele Verlage haben, von denen wir es nicht wissen und nicht glauben.

Wie aber kommt es, dass immer mehr konventionelle Verlage zur Dienstleistungsschiene schielen? Da dürfte natürlich zum einen die Verlockung groß sein, sich die alten Kernkompetenzen einzeln vergolden zu lassen. Autoren, die fürs Lektorat löhnen, finanzieren das Lektorat der Autoren, die es zusammen mit dem "Qualitätslabel" des Verlagsnamens umsonst bekommen. Abstimmungsplattformen setzen Arbeitskräfte frei, die sonst damit beschäftigt waren, all das Ungewollte einfach in den Müll zu befördern. Denn auch Recycling hat baren Geldwert. Du jammerst, dass nur Spitzentitel Werbung bekommen? Bezahle unsere outgesourcte Presseabteilung, crowdfunde dir einen Vertreter, pimp, pardon, pay your book!

Hoppla, da ist die Utopie mit mir durchgegangen. Nach dem Hybridautor der Hybridverlag. Dienstleistung mit weißer Weste. Da ist, falls denn die Preise und Leistungen auch wirklich stimmen und keine Betrugsmafia dahintersteckt, nichts Schändliches dabei. Aber mal ehrlich: Sind solche Verlagsnamen dann wirklich noch ein Qualitätslabel? Können sie dann wirklich noch selbstbewusst auftreten und von sich behaupten, das "Gute, Schöne und Wahre" auszufiltern? Können sie dann noch in der in Deutschland beliebten Igitt-Pose auf Self Publisher herabschauen, wenn sie sich doch mit deren Hilfe finanzieren? Alles nicht mehr so einfach. Denn der Druck wächst. Der Druck wächst durch die wirklich erfolgreichen Indie-AutorInnen, die den Verlagen zeigen, wo der Bartel den Most holt.

Das Literaturcafé beweist eindrücklich: Beim Marktführer in Sachen E-Books haben die Self Publisher in Sachen Abverkauf längst die Verlage überholt. Das ist peinlich und bedrohlich zugleich für die konventionelle Branche. Da läuft Geld in andere Kanäle, nämlich in die Taschen der Autoren, viel Geld. Martina Gercke hat in einem guten halben Jahr 30.000 Exemplare ihres selbstverlegten Romans "Holunderküsschen" verkauft - ein E-Book-Erstling.

Da hilft es nichts, in Zeitschriften die offiziellen Bestenlisten zurechtzulügen, indem man die "bösen" Self Publisher einfach nicht mitzählt. Es ist allgemein bekannt, dass Amazon mit Abstand vor allen anderen Shops die meisten E-Books umsetzt. Und deren Bestenlisten sprechen eine völlig andere Sprache. Journalist Matthias Matting hat die Top Ten in einer FB-Gruppe aufgelistet:

1. Martina Gercke: Holunderküsschen – Self Publishing
2. Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
3. Fulvio Di Luca: Der Junge, der Träume schenkte
4. Michael Linnemann: Rachezug: Thriller (Teil 1 von 2) – Self Publishing
5. Michael Linnemann: Rachezug: Thriller (Teil 2 von 2) – Self Publishing
6. Roswitha Hedrun: Die Hexenköchin (Historischer Roman) – Self Publishing
7. Catherine Shepherd: Der Puzzlemörder von Zons – Self Publishing
8. Charlotte Link: Der Beobachter
9. B. C. Schiller: Freunde müssen töten – Self Publishing
10. Mathias Frey: EXCESS – Verschwörung zur Weltregierung – Self Publishing
Seiner Aussage nach sind 49 Titel der Top Hundred von Self Publishern, damit habe Deutschland Amazon.com sogar überflügelt.

"Indie" ist angekommen in der deutschsprachigen Buchwelt. Autorinnen und Autoren sind plötzlich eine Größe, mit der man rechnen muss, auch finanziell gesehen. Das macht sie selbstbewusst und befreit sie von der Bittstellerrolle, die allzu lange an der Tagesordnung war. Und in einer Welt, in der plötzlich auch Verlage freiwillig immer mehr von ihrer "Filterfunktion" und "Qualitätsicherung" aufgeben oder gar die Fronten ins Dienstleistungsgeschäft wechseln, hat eines eine immer stärkere Macht: die "Marke" Autor.

3 Kommentare:

  1. Pauschal gesehen stimme ich dir zu. Sicher haben AutorInnen mit der E-Book Entwicklung und dem Self Publishing eine große Freiheit gewonnen, zumal auch der finanzielle Anreiz nicht zu verachten ist. Aber du sagst es ganz richtig, die „Marke“ Autor. Jetzt ist der Markt der Self Publisher noch überschaubar, wobei ich gestehen muss, dass ich über das Verfolgen der Bestsellerlisten nicht hinauskomme,
    aber wie wird es sein, wenn z. B. der Markt so wächst, dass man sich nicht mehr gezielt informieren kann. Bestseller sind meistens Bücher, die, weil sie ja ein großes Publikum ansprechen, unkompliziert und leicht zu konsumieren sind. Behaupte ich mal, wobei es auch Ausnahmen gibt. Ja und auch Bücher werden von den Verlagen zu Bestsellern gepusht, allen Qualitätsmaßstäben zum Trotz.
    Aber wo rangieren die anderen, die leisen, und vor allem die Querdenkerbücher? Jedes künstlerische wie auch wissenschaftliche Potential produziert ja an den Rändern Innovationen, die von den einen befürwortet von anderen heftig abgelehnt werden. Die suche ich mehr denn je, weil sie mich anregen.
    Wie finde ich das alles? Heutzutage studiere ich Newsletter, Empfehlungen von Leuten, deren Meinung ich schätze, Preise, Leseproben ect. Wird die Zukunft dahingehen, dass wir uns die Bücher aus riesigen Internetkatalogen raussuchen, googlemäßig nach Stichpunkten ausgeworfen? Von der Fülle ist das nicht zu fassen. Und da kommen wir zur zweiten Hürde. Der Autor hat das größte Mitspracherecht. Er wird sein Buch in die richte Ecke setzen und mit allen möglichen Tags zupfeffern. Die „Marke“ Autor wird an Bedeutung gewinnen. Lieben wir diese AutorInen, die uns bei Facebookbildchen ihren selbstgemachten Kuchen präsentieren, zweitausend Freunde haben und uns jeden Tag über den Fortschritt ihres Buchprojekts teilhaben lassen? Die mit dem größten Kuscheleffekt? Ich will einem Autor nicht zubilligen, dass er sich nicht gekonnt vermarkten kann. Aber wo bleiben die leisen AutorInnen, die einfach nur schreiben wollen, was sie bedrückt und nicht so schön, cool und sexy sind? Wir werden sehen…

    LG

    Henny

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  2. Liebe Henny,
    du rennst mit diesem Beitrag offene Türen bei mir ein. Denn genau auf der Suche nach solchen Büchern, AutorInnen und Verlagen (s. meine Liste rechts) bin ich ständig. Und ich habe im Lärm all des bedruckten Buntpapiers immer größere Schwierigkeiten, sie zu finden. Auf beiden Schienen.

    Im Buchhandel (nicht mit einer Metropole in der Nähe gesegnet, aber mit umso mehr Kettenfabriken) finde ich seit Jahren kaum noch Indies, anspruchsvolle Bücher, Risikoware. Im Internet muss ich meine Recherchierfähigkeiten ständig verbessern. Und das Feuilleton, das mir einst den Dienst leistete, boulevardisiert sich selbst, bespricht auch nur noch Hypes und die immer Gleichen, sperrt ganze Sparten von Literatur grundsätzlich aus.

    Wahrscheinlich nicht zu pauschalisieren: Ich finde die meisten der Perlen heutzutage tatsächlich via Facebook. Weil dort winzige Buchhandlungen, rar zu sehende Verlage und Schriftsteller plötzlich sichtbar werden wie in einem Schaufenster. Weil ich Freunde kenne, die meinen geschmack kennen und mir Bücher empfehlen. Weil mir Leute Bücher empfehlen, die ich nie für meinen Geschmack hielt, wo mich aber die Art neugierig macht, wie die Autoren darüber sprechen. Ich probiere immer mehr Literatur von AutorInnen, die ich virtuell erlebe.

    Nicht, weil sie das beste Marketinggehabe haben. Sondern weil sie ihre "Marke" mit dem aufbauen, was jemand hat, der gute Bücher schreibt: Sie zeigen Esprit und Persönlichkeit, haben Ecken und Kanten, haben mir etwas zu sagen (und nicht nur Werbesprüche abzulassen), zeigen Liebe und Leidenschaft für das, was sie tun. Stehen zu ihrer Unverwechselbarkeit, die bedeutet, auch mal nicht mitzumachen bei allem. Sie sind vielleicht nicht trendy, nicht schön, nicht sexy, aber interessant und richtig MENSCH.

    AutorInnen, die sich nur verstecken, aus welchen Gründen auch immer, haben auch schon vor Jahren jemanden gebraucht, der für sie die Bücher sichtbar macht und ins Gespräch bringt. Und schon viele davon sind untergegangen, weil der Verlag das vielleicht nicht ausreichend tat und sie selbst es nicht konnten. Ja, das wird sich verschärfen.

    Aber mal ganz ehrlich: Was tut so weh, wenn man sich wenigstens ein bißchen mit seinen Büchern sichtbar macht, wenn man doch Öffentlichkeit zum Lesen bringen will? Selbst ein Soziopath kann Social Media bedienen ;-)

    Trotzdem fehlen uns Alternativen zum Feuilleton, aber die wachsen auch im Internet. Aber insgesamt bin ich zuversichtlich, ich habe selten so viele gute Bücher von Independent-Verlagen entdeckt wie seit Social Media. Dort kann ich sogar die Buchhandlungen erreichen, die es geografisch nicht ums Eck gibt.

    Schöne Grüße,
    Petra

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  3. Übrigens sollten wir tatsächlich nicht die Lernfähigkeit der Algorithmen unterschätzen, wenn wir sie richtig füttern. Da liegt in der Zukunft viel Potential, nicht umsonst sind Amazon und Google hier kräftig am Entwickeln. (Gemeint ist dieses Zeug "Kunden, die Buch XY anschauten, kauften auch Klobürste Erna")
    Blind taugt das noch nichts, aber wenn man sich mal die Mühe macht und "Empfehlungen verbessern" durchklickt, ist die Trefferquote doch schon erstaunlich.

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